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Ein Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller
  • Von der Seele reden

Der Pop-Star der Nervengifte: Botox wird 35 Jahre alt

Von der Seele reden | Folge 592

04.03.2024

Von der Seele reden – der Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Politik- und Medienwissenschaftler und Vorstand der „Stiftung: Christliche Werte leben“.

Jeden Donnerstag um 20:45 Uhr im Radio und bereits vorab hier den ausführlichen Kommentar online hören. Mehr Infos zur Stiftung auf www.christlichewerteleben.de


Botox hat die ästhetische Medizin zu einem popkulturellen Phänomen gewandelt; relativ einfach herzustellen und zu transportieren, hat es seit seiner Erstzulassung vor 35 Jahren in den USA minimalinvasiv die Visage der Menschheit verändert. Millionen von Menschen lassen sich Botox spritzen, es ist der häufigste Eingriff der plastischen Medizin. Botox lähmt die Muskulatur. Nun lässt sich über Geschmack trefflich streiten, aber die meisten Anwendungen wirken für mich unnatürlich und abstoßend. Darüber hinaus wirkt das Gift regelmäßig nur sechs Monate, bis die alte Bewegungsfähigkeit wieder komplett zurück ist. Dann gilt es immer wieder, das wahre Aussehen zu leugnen und neu zu investieren. Außerdem geht man immer wieder das Risiko gravierender Nervenschäden ein, sofern es keine medizinische Notwendigkeit für den Eingriff gibt. Die Dekadenz aber hat aufgehört, sich zu schämen.

Was ist der Grund für die Neigung, sich äußerlich verändern zu wollen und die eigene Identität zu leugnen? Durch die Schaffung eines vermeintlichen Schönheitsideals mittels Werbung schwankt das Selbstwertgefühl der modernen Menschen je nach Situation stark und hängt mehr als früher üblich von der Anerkennung durch andere ab, die wiederum durch manipulative Werbung beeinflusst sind. Hinter allem steckt der gierige Wille nach wirtschaftlichem Erfolg um jeden Preis der „Schönheitsindustrie“, zu der natürlich Pharmaunternehmen und die Kosmetikindustrie gehören. Diese sollen sich künftig an der Abwasserreinigung beteiligen. Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten einigten sich am Montag darauf, dass mindestens 80 Prozent der entsprechenden Reinigungskosten von den Herstellern getragen werden sollen, wie das Parlament mitteilte. Neuseeland hat gerade schädliche Chemikalien in Kosmetika verboten. Wenigstens hier wird der Schönheitswahn als Problem erkannt und die Verursacher zur Kasse gebeten.

Schönheit ist ohnedies einem stetigen Wandel unterzogen, je nach Zeit, Kultur und Region. Seit jeher setzen Menschen die unterschiedlichsten Mittel der Körpergestaltung ein, um den Schönheitsvorstellungen der jeweiligen Zeit und Kultur zu entsprechen, sei es mit Hilfe von Frisuren, Körperbemalung, Kleidung und Schmuck oder durch Veränderungen des Körpers durch Bräunen und Hautaufhellung, Körpermodifikation wie Piercings, Tätowierungen und Skarifizierung. Diese Veränderungen dienen nicht immer der Attraktivitätssteigerung im ästhetischen oder sexuellen Sinn und sind ebenfalls Moden unterworfen. Sie transportieren oft eine viel weiter gefasste soziale Botschaft, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse, einer ethnischen Gruppe oder einem bestimmten Initiationsjahrgang oder haben rituelle oder religiöse Bedeutung. Eine klare Trennung zwischen „sozialen“ und „ästhetischen“ Körperveränderungen ist dabei meist nicht möglich, denn sozioökonomische Faktoren spielen in der Attraktivitätswahrnehmung eine gewichtige Rolle. Schönheitsideale spiegeln immer auch die in der jeweiligen Gesellschaft herrschenden Machtverhältnisse, z. B. zwischen sozialen Klassen oder den Geschlechtern, wider. Gebräunte Haut etwa, die in Europa von jeher ein Zeichen von Unterprivilegierung war und mit körperlicher Arbeit unter freiem Himmel assoziiert wurde, wurde in den 1960er Jahren zum Schönheitsattribut, als die besser Verdienenden das Mittelmeer als Urlaubsziel entdeckten.

Ich meine, wir sollten unser Aussehen mit Würde tragen, das gilt auch für Hinweise auf unser Alter. Ich wünsche Ihnen eine erfolg- und segensreiche Woche, aber bitte bleiben Sie achtsam.