E-Schlitten
23.12.2021
Wir haben einen sehr freundlichen Postboten. Sein Markenzeichen: er verrichtet seinen Zustelldienst immer im Laufschritt. Den „lächelnden, joggenden Briefträger“ habe ich ihn genannt. Ausgerechnet in den Wochen vor Weihnachten ist er krank geworden. Tagelang keine Post im Kasten. Dafür stauen sich in unserer Straße die Paketzustelldienste. Der Rentierschlitten ist längst dem e-Sprinter des größten Online-Händlers gewichen. Und meist schaffen es die Weihnachtsmänner unserer Tage nur noch, die Päckchen in aller Eile vor der Haustüre abzuschmeißen. Dazu kommen noch die kulinarischen Lieferdienste wie Gorillas, Lieferando oder Delivery Heros. Nach den Arbeitsbedingungen darf man in der Regel nicht fragen. Sie sind zwischen frühkapitalistischem Dienstbotentum und moderner Sklaverei anzusiedeln. Und der schadstoffreduzierte Schlitten ist nicht mehr als Augenwischerei.
Wir warten dringend auf eine Regulierung der Arbeitsbedingungen durch die EU. Was kann der Verbraucher in der Zwischenzeit tun? Ich meine, dass man online nur kaufen sollte, was unbedingt notwendig ist. Und man kann sich auch die einzelnen Lieferdienste anschauen und nicht auf „Hauptsache billig“ abfahren. Denn auch hier gilt: Die Nachfrage regelt den Markt. Und es kann ja wohl nicht sein, dass wir politisch korrekt gegen Sexismus und Rassismus protestieren, öko-fair im Biomarkt einkaufen und bei den Menschen, denen wir an der Haustüre begegnen, die Augen verschließen.