„Der neue Mensch muss noch kommen“.
04.03.2020
Für mich waren nicht Che Guevara oder Fidel Castro die Helden meiner Jugend. Nein, es war der dichtende Priester und Revolutionär Ernesto Cardenal. Alle seine Bücher und Gedicht-bände stehen in meinem Bücherregal. Er war die Symbolfigur des dritten Weges: des Sozialis-mus mit menschlichem Antlitz. Das war meine Hoffnung. Die Hoffnung auf eine gerechte Welt. Die Hoffnung auf eine Kirche, die sich an die Seite der Armen stellt und mit ihnen Kirche baut. Ernesto Cardenal war zu der Zeit, als ich mit Jugendlichen aus der Kirche Nicaragua besuchte, Kultusminister im Regime der Sandinisten. Wir bauten mit ihnen an der neuen Welt: Kaffee-plantagen, Häuser, Krankenhäuser. Bescheiden war der Beitrag der Workcamps aus Deutsch-land und doch: Wir arbeiteten an einer großen Zukunft. Ernesto Cardenal war für uns der Hoffnungsträger. „Theologie der Befreiung“ war das Stichwort. Ernesto Cardenal gründete eine nach urchristlichen Vorstellungen ausgerichtete Kommune auf einer Insel im Nicaragu-asee. Er berichtete darüber in seinem Buch „Evangelium der Bauern von Solentiname“. Ich habe es ebenso verschlungen wie das „kubanische Tagebuch“, das Cardenal nach einem Be-such im revolutionären Castro-Kuba geschrieben hatte.
Aber schon bald stellte sich beim visionären Cardenal Ernüchterung ein. „Ich sehe schon das neue Land, aber der neue Mensch muss noch kommen“, dieser Satz des dichtenden Priesters hat sich bei mir eingeprägt. Staatspräsident Daniel Ortega, vom Revolutionsführer zum Dikta-tor mutiert, war dieser „neue Mensch“ offensichtlich nicht. Papst Johannes Paul der II wohl auch nicht, er enthob Cardenal 1984 seiner priesterlichen Ämter.
Vor gut einem Jahr hob Papst Franziskus die Sanktionen gegen den schwerkranken Cardenal wieder auf und rehabilitierte ihn. Am vergangenen Sonntag ist Ernesto Cardenal in Nicaraguas Hauptstadt Managua im Alter von 95 Jahren gestorben.